
Was wissen wir über invasive Neophyten in Sachsen-Anhalt?
Fakten und Forschung sind wichtig.
Um invasive Pflanzen sinnvoll, wirksam und kosteneffizient zu managen, braucht es das Wissen über das Vorkommen, die Verbreitung und die Auswirkungen dieser Pflanzen. Doch dieses Wissen ist momentan noch begrenzt. Deshalb müssen wir die Natur besser kennenlernen – durch Kartierungen, Langzeit-Beobachtungen sowie die Vernetzung unserer Erkenntnisse.
Wofür brauchen wir die Erforschung von Neophyten?
1. Besser verstehen, wie sich menschliches Handeln auf die Natur auswirkt: Durch unsere globale Lebens- und Wirtschaftsweise verändert sich die uns umgebende Natur. Neophyten sind Indikatoren und Triebkräfte dieses Wandels. Insofern kann Ihre Erforschung Antworten auf wichtige Fragen geben, wie bspw.: Wie wirkt sich unsere Lebens- und Wirtschaftsweise auf die uns umgebende Natur aus? Oder auch: Welche Veränderungen der Biodiversität sind in den nächsten Jahren zu erwarten?
2. Potenzielle Gefahren frühzeitig erkennen, um angemessen handeln zu können: Nur wenn das Vorkommen, die Verbreitung sowie die potenziellen ökologischen, ökonomischen und gesundheitlichen Auswirkungen gebietsfremder Pflanzen gründlich erforscht werden, lassen sich wirksame Gegenmaßnahmen bei Bedarf ableiten.
Was wir wissen
Wir kennen die allgemeine Verbreitung invasiver Neophyten in Sachsen-Anhalt: So wissen wir bspw., dass das Orientalische Zackenschötchen im Süden Sachsen-Anhalts viel häufiger vorkommt als im Norden. Auch wissen wir, dass manche Neophyten in Sachsen-Anhalt recht selten sind, wie z. B. die Schuppenköpfe, während andere wiederum in beinahe jedem Raster gefunden wurden, so z. B. die Kanadische Goldrute. Grundlage dieses Wissens sind verschiedene botanische Kartierungen:
- Kartierungen bis Ende 2004 durch Botaniker: Um Daten zu erheben, wurden ALLE wild wachsenden Pflanzen per Rasterkartierung – in 5 km2-großen Messtischblattquadranten – erfasst und für jedes der Raster eine Artenliste erstellt. Bemerkenswerte Arten wurden bei diesen Kartierungen nach Ermessen der Botaniker auch punktgenau erfasst – doch dies war eher selten der Fall.
- Kartierungen ab 2010 durch KORINA: Unsere Koordinationsstelle erfasst seit 2010 ganz gezielt Neophyten in ausgewählten Schutzgebieten. Dahingehend haben wir verschiedene Methoden entwickelt und angewandt:
a) Rasterkartierungen von Spätblühender Traubenkirsche in der Oranienbaumer Heide
b) Punktkartierungen von Neophyten entlang von Fließgewässern
c) Vegetationsaufnahmen von Transsekten
Alle diese Kartierungsdaten wurden und werden in unserer Datenbank zusammengeführt. Sie enthält momentan gut 71.000 Einträge.
Was wir nicht wissen
1. Wo konkret und in welcher Dichte kommen die Arten vor? Unsere Datenbank „Neophyten in Schutzgebieten Sachsen-Anhalts“ enthält bereits mehr als 71.000 Datensätze. Diese geben Auskunft über die allgemeine Verbreitung invasiver Arten. Dennoch ist deren punktgenaue Verbreitung zumeist nicht bekannt, da Punktdaten fehlen – also Daten zu konkreten Standorten sowie zur Dichte der Vorkommen. Und deshalb wissen wir auch nicht, inwiefern sich einmal kartierte Arten in ihrer Verbreitung verändert haben – ob sie mittlerweile verschwunden sind oder sich eventuell verdoppelt haben. All dies erschwert es, die Arten in ihren Auswirkungen zu bewerten, sie effektiv zu kontrollieren sowie Maßnahmen zu planen und umzusetzen.
2. Welche Auswirkungen haben potenziell invasive Neophyten? Neben den uns bekannten circa 30 invasiven Neophyten breitet sich momentan eine weit höhere Zahl an nicht als invasiv bewerteten Neophyten in Sachsen-Anhalt aus. Und dahingehend sind viele Fragen offen: Wie häufig sind diese neuen Arten? Haben sie derzeit oder in Zukunft negative Auswirkungen auf heimische Arten oder auf ganze Ökosysteme? Und wie können die Auswirkungen dieser Neophyten von den Auswirkungen des Landnutzungswandels unterschieden werden?
3. Wie viel muss man eigentlich wissen, um invasive Prozesse zu regulieren?
Warum wir so wenig wissen
Folgende Gründe sind ausschlaggebend:
1. Die Menge der Neophyten: Neophyten werden in heimische Gebiete überaus häufig eingeführt und breiten sich dort unter Umständen schnell aus. Deshalb haben wir, ebenso wie viele Landnutzer, Biologen und Politiker nur eine sehr begrenzte Kenntnis über die Auswirkungen dieser Pflanzen.
2. Fehlende Kartierungen: Für FFH-Gebiete ist die floristische Kartierung die wichtigste Datenbank-Quelle. Es liegen leider noch nicht zu allen FFH-Gebieten floristische Kartierungen vor. Und je weniger kartiert ist, desto geringer der Stand des Wissens. Insofern fehlt mit der Kartierung für einige Schutzgebiete die Basis, Neophyten zu beobachten, zu bewerten und effektiv kontrollieren zu können.
3. Einmalige Kartierungen: Viele Botaniker halten eine einmalige Erfassung invasiver Neophyten für ausreichend. Aber erst durch mehrmaliges Kartieren lässt sich erkennen, ob ein Pflanzenbestand nach einer gewissen Zeit im jeweiligen Gebiet noch vorkommt oder bereits schon wieder verschwunden ist.
4. Kaum punktgenaue Kartierungen: Neophyten werden zumeist per Rasterkartierung erfasst. Punktgenaue Kartierungen sind selten. Und deshalb wird der konkrete Standort und die Dichte dieser Vorkommen ebenso wenig erfasst wie eine Änderung in Standort und Dichte.
5. Unkenntnis beim Kartieren: Den Kartierern sind einige Neophyten-Sippen schlichtweg nicht bekannt. Ähneln diese neuen Pflanzen nun bereits etablierten Sippen, so tendieren Kartierer häufig dazu, beide als einander zugehörig zu bewerten – so wird bspw. Dianthus giganteus als Dianthus carthusianorum bestimmt.
6. Fehlende Bestimmungsliteratur: Unbekannte oder wenig bekannte Neophyten tauchen naturgegebenermaßen in der Bestimmungsliteratur nicht auf. Das behindert das Erlernen ihrer Formen und Merkmale.